Rückstellungsakten der Finanzlandesdirektion - "Entziehung von Forderungen von Juden"

Bestandsbezeichnung

Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik
Bestandsgruppe: Entschädigungs- und Restitutionsangelegenheiten, 1938–1985
Bestand: Finanzlandesdirektion, 1940–1947
Aktenserie: Akten der Finanzlandesdirektion nach dem Ersten Rückstellungsgesetz
Akt: Registraturzahl 21340 (Bezeichnung: „Judenforderungen“; vier Kartons)

Kurzbezeichnung für die Aktenart: FLD

Historischer Entstehungshintergrund

Unter die aufgrund der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz dem Deutschen Reich verfallenen Vermögen waren auch Geldforderungen aus Unternehmenstätigkeiten jener Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen von 1935 als jüdisch galten. Im vorliegenden Fall handelt es sich fast ausschließlich um Rückzahlungsverpflichtungen von „arischen“ Schuldnerinnen und Schuldnern und – in einem geringen Umfang – um Forderungen gegenüber der Postsparkasse (Postsparkassenamt) aus Scheck- und Kontoguthaben. Diese wurden vom Oberfinanzpräsidenten Wien-Niederdonau vereinnahmt, in der Regierungsoberkasse verbucht und anschließend nach Berlin weitergeleitet. Eine weitere nationalsozialistische Rechtsgrundlage zur Beschlagnahmung von Geldforderungen bildete die Verordnung über die Behandlung von Vermögen der Angehörigen des ehemaligen polnischen Staates vom 17. September 1940 (§§ 1, 2, 9 und 12), wobei diese Beträge in den Verfügungsbereich der so genannten Hauptreuhandstelle Ost in Berlin gelangten.

Die Mitteilungen über die Schuldenabzahlungen „arischer“ Beschäftigter oder Pensionistinnen und Pensionisten an jüdische Gläubiger gelangten über die Gehalt oder Pension auszahlenden Stellen von Unternehmen und Institutionen zur Kenntnis des Oberfinanzpräsidenten Wien-Niederdonau: So finden sich unter den überweisenden Unternehmen und Organisationen die Wiener Verkehrsbetriebe, diverse Dienststellen der Reichsbahn, die Gemeindeverwaltung des Reichsgaus Wien oder die Pensionskasse des Oberfinanzpräsidenten Wien-Niederdonau.
Ein weiterer Teil der Informationen entstammte aus gerichtlichen Verfahren zur Bereinigung alter Schulden und den damit einhergehenden Benachrichtigungen des Oberfinanzpräsidenten Wien-Niederdonau durch das zuständige Amtsgericht.

In Einzelfällen setzte sich der Oberfinanzpräsident Wien-Niederdonau mit den Eingaben der „arischen“ Schuldnerinnen und Schuldner um Nachlässe auseinander und regelte die Schulden entweder durch:

  • Rückzahlung der Schuld unter Erlassung von Zinsen und Kosten oder
  • teilweise Erlassung der Schuld beziehungsweise Erlassung der Restschuld oder
  • Schuldabstattung durch die Zahlung einer einmaligen Pauschalsumme.

Akteninhalt

Der Akteninhalt ist ein auf vier Kartons verteiltes Konvolut, das nationalsozialistische Einziehungstatbestände umfasst und als ein ungeordneter Varia-Bestand eingestuft werden kann. Nach Kriegsende 1945 hat die wiedererrichtete Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Finanzlandesdirektion Wien) das Material unter der Registraturzahl (Aktenzahl) 21340 zusammengefasst und unter der Bezeichnung „Judenforderungen“ in der zugehörigen Kartei zu den Akten nach dem Ersten Rückstellungsgesetz verzeichnet. In weiterer Folge hat sie die Unterlagen in einer nur bedingt nachvollziehbaren Weise ausgewertet und noch Zahlungen aus offenen Exekutionstiteln im Sinne des Ersten Rückstellungsgesetzes eingetrieben. Dies ergibt sich aus den umfangreichen Aufstellungen mit handschriftlichen Aufzeichnungen, die jedoch bei der Erfassung für das Findbuch für Opfer des Nationalsozialismus unberücksichtigt blieben. Den Schlusspunkt der Tätigkeit der Finanzlandesdirektion Wien bildete in Bezugnahme auf die Auffangsorganisationsgesetz-Novelle vom 16. Dezember 1958 der 21. Feststellungsbescheid vom 23. Dezember 1959, mit dem den Sammelstellen A und B in Summe ÖS 433.815,91 überwiesen wurde, auf die zuvor keine Berechtigten oder Erben der Gläubiger Rückstellungsansprüche erhoben hatten. Die dazugehörige alphabetische Liste der ursprünglichen natürlichen und juristischen Gläubiger umfasst 28 Seiten. Nur in wenigen Fällen sind die Namen der Personen beziehungsweise Unternehmen mit konkreten Adressen oder anderen Identifikationsmerkmalen versehen.

Informationsgehalt

In der Regel finden sich unterschiedliche Formblätter oder maschinschriftliche Listen mit den persönlichen Daten jüdischer Gläubiger (Nachnamen, Vornamen, gelegentlich mit den Geburtsdaten und einer Adressenangabe) sowie dem Geschäftsnamen und dem ausständigen Forderungsbetrag entweder in Reichsmark oder österreichischen Schilling. Bei Ratenzahlungen treten die Unterlagen an unterschiedlichen Stellen wiederholt auf. Ergänzt werden die Materialien durch Angaben zu „arischen“ Schuldnerinnen beziehungsweise Schuldnern und jener Institution, welche die Schuldenabstattung durch Lohn- oder Pensionsabzug durchführte. Häufig werden die getätigten Einnahmen des Oberfinanzpräsidenten Wien-Niederdonau durch so genannte „Annahmeanordnungen“ angezeigt und buchhalterisch durch schmale aufgeklebte Papierstreifen mit rudimentären Angaben über Höhe und Herkunft des Geldbetrages belegt. In einer geringeren Anzahl an Fällen finden sich Sammelbenachrichtigungen über gerichtliche Entscheidungen in Schuldenbereinigungsverfahren.

Oftmals liegen schriftliche Ansuchen und Begründungen von Schuldnerinnen und Schuldnern beim Oberfinanzpräsidenten Wien-Niederdonau um Schuldennachlass – ergänzt mit Bestätigungen der Gehalts- oder Pensionskasse – vor.

Erläuterungen und Anmerkungen

Die Dokumentation des Inhaltes des Aktes mit der Registerzahl (Aktenzahl) 21340 und der Bezeichnung „Judenforderungen“ versteht sich komplementär zu der im Findbuch für Opfer des Nationalsozialismus auffindbaren Daten aus der Kartei zu den Akten nach dem Ersten Rückstellungsgesetz der Finanzlandesdirektion Wien.

Informationen zur Datenbearbeitung: Rückstellungsakten der Finanzlandesdirektionen - "Entziehung von Forderungen von Juden"