Sammelstellen A und B - Anspruchs-, Billigkeits- und Verkaufsakten

Bestandsbezeichnung

Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik
Bestandsgruppe: Entschädigungs- und Restitutionsangelegenheiten, 1938 bis 1985
Bestand: Hilfsfonds, 1955 bis 1982
Aktenserie: Sammelstellen A und B, 1957 bis 1972
Subserie: Anspruchs-, Billigkeits- und Verkaufsakten

Kurzbezeichnung für die Aktenart: SSt

Historischer Entstehungshintergrund

Die Errichtung der Sammelstellen A und B resultiert mittelbar aus Artikel 26 § 2 des österreichischen Staatsvertrages vom 15. Mai 1955 „betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreichs“. In diesem Vertrag ging die Republik Österreich die Verpflichtung ein, Vermögen ohne Erben oder nicht beanspruchte rückstellungspflichtige Vermögen, Rechte und Interessen so genannten Auffangorganisationen zu übertragen. Mit dem Auffangorganisationengesetz 1957 wurden die Sammelstellen A und B mit Sitz in Wien unmittelbar begründet.

Die Sammelstelle A sollte das Vermögen, die Rechte und Interessen jener Personen erfassen, die am 31. Dezember 1937 der Israelitischen Kultusgemeinde angehörten; die Sammelstelle B das Vermögen, die Rechte und Interessen aller anderen Personen, die unter dem Nationalsozialismus Vermögensentziehungen erleiden mussten.

Akteninhalt

Im Aktenbestand ist zwischen Anspruchsakten, Billigkeitsakten und Verkaufsakten zu unterscheiden.

  • Anspruchsakten dokumentieren geltend gemachte Rückstellungsansprüche in erster Linie auf Liegenschaften, in zweiter Linie auf Geschäfte, Betriebe und bewegliches Vermögen (Konten, Wertpapiere).
  • Die Billigkeitsakten waren Folge des Vierten Rückstellungsanspruchsgesetzes 1961. Hatten so genannte Billigkeitswerber bis zum 26. Jänner 1956 nach Artikel 26 § 2 Staatsvertrag 1955 eine Anmeldung ihrer Vermögensverluste vorgenommen, so musste ihnen auf ihr Verlangen den Sammelstellen rückgestelltes Vermögen innerhalb einer Frist ausgefolgt werden.
  • Verkaufsakten dokumentieren die Veräußerung von Vermögen der Sammelstellen an andere Personen als die Rückstellungspflichtigen.

Informationsgehalt

Anspruchsakten enthalten Informationen über die Erhebung und die Durchsetzung von Rückstellungsansprüchen nach dem Ersten Rückstellungsgesetz, dem Zweiten Rückstellungsgesetz oder dem Dritten Rückstellungsgesetz. Abhängig vom beanspruchten Vermögensgegenstand enthalten die Anspruchsakten Informationen über:

  • die geschädigte natürliche oder juristische Person oder den geschädigten Personenkreis,
  • den Vermögensgegenstand (bei Liegenschaften die Einlagezahl und Katastralgemeinde; bei Betrieben die Ergebnisse einer Standortrecherche, einen Handelsregisterauszug und vertraulich eingeholte Informationen einer Auskunftei),
  • die Korrespondenz mit den Rückstellungspflichtigen beziehungsweise deren Rechtsvertretungen,
  • Protokolle über Zeugenbefragungen,
  • formal vereinheitlichte Berichte an das jeweilige Kuratorium der Sammelstelle als Fallzusammenfassung zu dessen Kenntnisnahme.

Kam mit der rückstellungspflichtigen Person ein Vergleich zustande, so kann in den Anspruchsakten auch ein Einheitswertbescheid und ein Schätzgutachten vorgefunden werden.

Billigkeitsakten umfassen:

  • die Korrespondenz mit Billigkeitswerberinnen und Billigkeitswerbern,
  • Personenstandsdokumente,
  • eine Anfrage an das Bundesministerium für Finanzen über das Vorliegen von Wiedergutmachungsansprüchen nach Artikel 26 § 2 Staatsvertrag 1955,
  • einen Bericht an das jeweilige Kuratorium der Sammelstelle über die Form der Abtretung (in natura, als Geldwert oder Rechtstitel).

Verkaufsakten decken sich zumeist mit den Anspruchsakten und enthalten darüber hinaus bei Liegenschaftsvermögen Einheitswertbescheide und bis zu zwei Schätzgutachten, denen fallweise Fotografien der Immobilie beiliegen können. Vervollständigt werden die Akten durch den Verkaufsvertrag sowie einen Bericht an das Kuratorium der zuständigen Sammelstelle.

Ersatzweise Informationsquellen

Ersatzquellen für die Tätigkeit der Sammelstellen A und B liegen nur fragmentarisch vor: Für Liegenschaften ist die Steckzettelkartei Erfassung Liegenschaften und für Handel und Gewerbe jene der Erfassung Betriebe im Österreichischen Staatsarchiv zu nennen. Beide Karteien liefern nur jene Angaben, die zur Eröffnung eines Anspruchsaktes führten und enthalten keine darüber hinaus gehenden Informationen. Zudem sind beide Karteien im Österreichischen Staatsarchiv öffentlich nicht zugänglich und konnten von den Historikerinnen und Historikern des Fonds nicht vollständig erfasst werden.

Lag ein Rückstellungsanspruch nach dem Ersten Rückstellungsgesetz oder dem Zweiten Rückstellungsgesetz vor, so sind die dazugehörigen Verfahrensunterlagen in den Akten der zuständigen Finanzlandesdirektion zu finden.

Abgeschlossen wurde die Fallbearbeitung mit Berichten an das jeweilige Kuratorium der Sammelstelle, die sich im Österreichischen Staatsarchiv chronologisch gesammelt im Teilbestand der Sammelstellen befinden. Ohne Kenntnis des Datums eines Vergleichs-, Billigkeits- oder Verkaufsfalls ist deren Auffindung jedoch sehr zeitaufwändig.

Betraf ein Rückstellungsverfahren eine Liegenschaft, so kann im B-Blatt des Grundbuches der zuständigen Grundbuchsbehörde sowie in der dort befindlichen Urkundensammlung die Einleitung, das Verfahrensende und ein etwaiger Eigentumswechsel ersehen werden. Aus diesen formalen Informationen können jedoch nur Vermutungen hinsichtlich eines rechtsgültigen Vergleiches, einer Ablehnung oder einer Rückziehung des Rückstellungsantrages angestellt werden.

Erläuterungen und Anmerkungen

Die Akten der Sammelstelle A und B weisen einen standardisierten Aufbau auf, wobei die Quantität der Unterlagen von der Komplexität des Einzelfalles abhängt. Der Umfang der zeitgenössischen Recherchetätigkeit kann in jedem Fall gut nachvollzogen werden. Überdies erlauben die Akten Rückschlüsse auf die vorherrschende amtswegige Mentalität gegenüber „Rückstellungswerberinnen“ und „Rückstellungswerbern“ in den 1960er Jahren.

Informationen zur Datenbearbeitung: [Link wird ergänzt]